Mobilitätskonzept für das Hölzerbräugelände, Paradigmenwechsel in Ebersberg?

Nachgefragt von Maria Weininger

„Jeder muss sich bewusst machen, dass er ein Teil des Problems ist. Jeder kann aber auch zu einem Teil der Lösung werden. „

Foto: Christian Endt, Ebersberg

Weininger: Der Stadtentwickler Christian Bittner von Stattbau München hat kürzlich in einer TA-Sitzung empfohlen, im Zuge der Umbaumaßnahmen des Hölzerbräugeländes, das Parkplatzangebot für Autos im neuen Hölzerbräugelände zu reduzieren. Vor 10 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Ist das schon ein Hinweis auf einen Paradigmenwechsel?

Münch: Das würde ich so nicht sagen. Man muss unterscheiden: Die Entwicklung eines Mobilitätskonzepts wurde zwar von allen Fraktionen befürwortet, aber die Freien Wähler, die CSU und Pro Ebersberg haben deutlich gemacht, dass für sie eine Reduzierung des Stellplatzschlüssels nicht in Frage kommt. Sie befürchten, dass die künftigen Bewohner des Hölzerbräugeländes dann woanders parken. Wir von der SPD und die Grünen würden es befürworten und wir wollen den Paradigmenwechel, denn es muss sich in der Zukunft was tun. Zur Erklärung: Das Mobilitätskonzept ist gerade einmal ein Entwurf, denn noch weiß man gar nicht, wie viele Wohnung am Hölzerbräugelände entstehen werden. Wichtig ist, dass die Planer die Möglichkeit eines Konzeptes in ihre Überlegungen aufnehmen. Noch ist zwar alles offen, aber ich fürchte, die Haltung der anderen drei Fraktionen könnte zum Todesstoß für das Konzept werden.

Weininger: Zusammen haben die drei Fraktionen in Stadtrat die Mehrheit?

Münch: Die drei Fraktionen könnten ein Konzept, wenn sie sich einig sind, im Ausschuss und im Stadtrat mit einer knappen Mehrheit ablehnen. Für den Fall der Stellplatzreduzierung müsste also noch jemand umschwenken. Das wird spannend.

Weininger: Erläutere doch bitte einmal in den wesentlichen Punkten das gedachte Mobilitätskonzept für das Hölzerbräugelände.

Münch: Es soll ein Parkraum-Management für die gewerblich genutzten Parkplätze geben. Das heißt, dass manche Parkplätze doppelt verplant werden. Wenn z.B. Hotelgäste tagsüber unterwegs sind, können Besucher von Geschäften auf diesem Platz parken. Durch die Innenstadtlage ist der Bedarf an Parkplätzen für die Bewohner geringer, weil die Nahversorgung und die Anbindung an den ÖPNV gegeben sind, das ist eine Chance, die mit übertragbaren ÖPNV-Tickets unterstützt werden soll. Ein weiteres Ziel ist, dass für E-Bikes und E-Lastenräder die Infrastruktur geschaffen wird und der Investor E-Räder zur Verfügung stellt. Dazu gehört, dass auch der dauerhafte Betrieb, der Unterhalt und die Reparatur längerfristig gesichert wird. Das könnte ein städtebaulicher Vertrag sichern. Dahinter steht der Gedanke, dass die Bewohner auf ein Auto verzichten, wenn sie dieses Angebot nutzen können.

Weininger: Du wurdest von der Presse mit den Worten zitiert, das sei eine „Vision“. Welche Visionen hast Du denn konkret zu diesem Thema?

Münch: Meine Vision ist, dass sich Verkehr einfach grundlegend ändern muss. Ich bin mir auch sicher, dass es passieren wird. Unabhängig davon, was wir in Ebersberg machen, wird der Druck immer größer und die Probleme werden in Hinblick auf den Klimawandel immer drängender, je länger man sie vor sich herschiebt. Es muss ein grundsätzliches Umdenken stattfinden. So ein Umdenkprozess braucht immer Zeit. Ich denke mal, es wird sich in den nächsten 5 Jahren was tun. Bis dieses Umdenken in der Breite und Masse angekommen ist, wird es aber vermutlich schon 10 bis 15 Jahre dauern.

Weininger: Eine Verkehrswende ist ja nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern auch der Lebensqualität. 113 Millionen Menschen sind europaweit alleine durch den Verkehrslärm auf „ungesundem“ Niveau betroffen. Autoverkehr kann auch gar nicht immer als „Mobilität“ bezeichnet werden, wenn man bedenkt, wie lange man mit dem Auto im Verkehr steht. Trotzdem hält man am Auto fest. Wie kann man das bei den Menschen kommunizieren und Überzeugungsarbeit leisten?

Münch: Es darf keine Verbotspolitik sein und es sollen auch keine Horrorszenarien an die Wand gemalt werden. Man muss die Leute motivieren, über das eigene Verhalten nachzudenken: „Muss ich wirklich ins Auto steigen oder kann ich vielleicht auch mit dem Rad fahren?“ Ich glaube, jüngere Menschen haben das schon eher verstanden.

Weininger: … und wollen auch nicht gerne ihr Geld fürs Auto ausgeben.

Münch: Das kommt dazu. Und das Auto ist für die Jungen auch nicht mehr das Statussymbol, wie es vielleicht vor 20 Jahren noch war.

Weininger: Werden wir mal konkret: Was wird sich in den nächsten Jahren tun? Wo gibt es Ansatzpunkte und was ist politisch realisierbar?

Münch: Ich kann mir vorstellen, dass sich politisch auf Bundesebene schnell was verändern kann. Der Staat muss Geld in die Hand nehmen, um die Corona-Ausfälle abzufedern. Ich denke mir, man wird hier vielleicht in nachhaltigere Technologien investieren, wie in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder der Wasserstoffinfrastruktur. In Ebersberg müssen wir jedes größere Bauvorhaben, und da haben wir ja einige vor uns, anschauen, wie man den Verkehr reduzieren und ein Mobilitätskonzept umsetzen kann. Zum Beispiel kann am Hölzerbräugelände eine Durchwegung dafür sorgen, dass man mit dem Fahrrad sicherer vom Marienplatz in den Westen und Süden der Stadt kommt. So muss man jedes Baugebiet einzeln betrachten. Quell- und Zielverkehr wird halt einfach durch uns selbst produziert. Auch Ansätze wie übertragbare ÖPNV-Tickets, verleihbare E-Lastenräder und ähnliche Ideen kann die Stadt Ebersberg unterstützen.
Eine andere Säule ist die Reduzierung vor allem des täglichen Pendlerverkehrs. Hier kann die Digitalisierung der Arbeitswelt (Stichwort Homeoffice) unterstützt werden, beispielsweise durch den Ausbau des Breitbandnetzes.

Weininger: Gibt es bei anderen Bauprojekten, wie Friedenseiche 8, ähnliche Konzepte? Schwierig wird es vermutlich im Augrund durch die Distanz zum Zentrum.

Münch: Beim Augrund wäre es vorteilhaft, wenn es dort einen zweiten Bahnhof gäbe. Damit wäre das Stadtzentrum innerhalb einer Haltestelle zu erreichen. Ich weiß natürlich auch, wie wenig realistisch das im Augenblick ist, aber wir werden dranbleiben. Dann ist es wichtig, Aufklärungsarbeit zu betreiben. Gleichzeitig müssen wir das Radwegenetz verbessern. Das ist kein neues Thema. Die Stadt sollte Initiativen, wie Autoteiler, unterstützen. Wichtig ist auch die frühzeitige Kommunikation mit den Bauträgern, um die Unterstützung für Mobilitätskonzepte zu signalisieren.

Weininger: Welches ist Dein persönliches Ziel?

Münch: Mein wichtigstes Ziel wäre am Beispiel des Hölzerbräugeländes ein Exempel zu statuieren, um zu zeigen, dass so etwas funktionieren kann. Damit könnten Skeptiker überzeugt werden und wir können Bauherren motivieren, ähnliche Konzepte aufzustellen.

Weininger: Man darf natürlich nicht vergessen, dass diese Maßnahmen bestenfalls die Geschwindigkeit der Verkehrszunahme mindern können. Ebersberger werden nur die Zunahme des Verkehrs spüren und nicht die positiven Einzeleffekte.

Münch: Das ist leider so. Allerdings bin ich überzeugt, dass Mobilität sich in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren grundlegend ändern wird. Ich glaube, wir können uns heute noch nicht richtig vorstellen, wie viel und mit welchen Mitteln wir uns dann fortbewegen.

Weininger: Vielleicht sollten wir in Ebersberg ein interaktives virtuelles Planspiel anbieten, bei dem sich jeder online beteiligen kann. So würde sichtbar werden: Was passiert, wenn jeder von uns maximale Autofahrten macht, und was passiert, wenn man die Fahrten reduziert? Die Summe der individuellen Verhaltensweisen ergäbe die Gesamtsituation und nebenbei auch einen Lerneffekt. Aus diesem Projekt heraus könnte man Analysen betreiben und Zielvorgaben formulieren.

Münch: Absolut. Hier sehe ich zwei Vorteile: Erstens könnte es die Teilnehmer und Teilnehmerinnen anregen, über das eigene Verhalten nachzudenken. Der zweite Vorteil wäre, herauszuarbeiten: „Wo entstehen denn eigentlich die Probleme?“ und „Was hindert die Leute denn, sich anders zu verhalten?“ Das muss natürlich wissenschaftlich begleitet und bewertet werden. Ich halte das für realistisch und auch für sinnvoll.

Weininger: Und was ist Dein abschließender Gedanke zum Thema?

Münch: Jeder muss sich bewusst machen, dass er ein Teil des Problems ist. Jeder kann aber auch zu einem Teil der Lösung werden.

Weininger: Das ist doch ein prima Schlusswort. Vielen Dank.

 

Das Interview führte Maria Weininger (16. Februar 2021)