Doris Rauscher (MdL)

Vorsitzende im Landtagsausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie

Die Herausforderungen für die SPD vor der Landtagswahl 2023, nachgefragt von Maria Weininger

Einfache Botschaften gibt es in diesen Zeiten nicht, auch, wenn die Leute sich das wünschen.“
Die SPD ist die älteste deutsche Partei und seit mehr als 150 Jahren immer ein Bollwerk für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.“
Scholz müsste sich auch öfter mit Ansprachen an die Menschen im Land wenden, damit man besser nachvollziehen kann, was in ihm vorgeht.“
Die Bundesregierung hat derzeit wirklich mit sehr großen Herausforderungen zu kämpfen, auch, weil in den 16 Jahren unter Frau Merkel vieles ausgesessen wurde.“
Vor meiner Zeit war die Kindertagesbetreuung noch kein großes Thema. Nachdem ich es im Vier-Wochen-Rhythmus eingebracht habe, hat es dann doch irgendwann eine hohe Bedeutung erhalten“
Ich hoffe aber, dass wir durch meine Direktkandidatur im Landkreis Ebersberg und durch meinen guten Listenplatz in Oberbayern im Landkreis Ebersberg das Mandat halten können.“

2013 wurdest Du erstmals in den Landtag gewählt, seit 2018 bist Du Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie. Wie kann man sich diese Arbeit und die Möglichkeiten aus der Opposition heraus vorstellen?

Rauscher: Man führt Fachgespräche mit Experten und organisiert Anhörungen mit Betroffenen, Verbänden und Organisationen. Und so bekommt man ein Gefühl dafür, wo es im Alltag Handlungsbedarf gibt. Auf dieser Wissensbasis schreibt man Anträge. Die Regierungsmehrheit lehnt Oppositionsanträge meistens ab, vielleicht bleibt am Ende gerade noch ein Modellversuch. Trotzdem macht die Oppositionsarbeit Sinn, denn man platziert auf diese Weise politische Themen, die dann auch debattiert werden müssen. Nehmen wir die „Kindertagesbetreuung“. Vor meiner Zeit war das noch kein großes Thema. Nachdem ich es im Vier-Wochen-Rhythmus eingebracht habe, hat es dann doch irgendwann eine hohe Bedeutung erhalten. Als Ausschuss-Vorsitzende kann man also durchaus auch Einfluss auf die Gewichtung von Inhalten nehmen. Wenn Probleme dann noch von Fachleuten bestätigt werden, bekommt eine Sache irgendwann Brisanz, der sich dann auch die Mehrheitsfraktion nicht mehr verschließen kann.

Gib uns bitte eine kurze Erläuterung, wie die Ausschüsse zustande kommen.

Rauscher: Im Parlament des Bayerischen Landtags gibt es 14 ständige Ausschüsse*. Die Fraktionen bekommen ihre Zugriffsrechte nach der Anzahl der Sitze im Parlament. Die Mehrheitsfraktion wählt als erstes und nimmt gerne die „Königsdisziplinen“. Meine Fraktion hatte sich auf den Sozialausschuss verständigt und als die SPD an der Reihe war, haben wir ihn uns gegriffen.

[*Anm.: derzeit CSU 7, Bündnis 90/Die Grünen 2, Freie Wähler 2, AfD 1, SPD 1, FDP 1. Dem Vorsitzenden der AfD hat das Gremium wegen radikaler Äußerungen das Vertrauen entzogen.].

Noch bevor die Wahl stattfindet, kannst Du Dich schon als Gewinnerin fühlen, denn Du wirst auf der Liste des Wahlkreises Oberbayern den 2. Platz belegen. Stolz?

Rauscher: Die Voraussetzungen sind für mich auf diesem Platz natürlich gut, als Gewinnerin fühle ich mich aber trotzdem nicht. Am Ende entscheiden immer die Wählerinnen und Wähler und davor habe ich wirklich größten Respekt. Jede einzelne Stimme ist also wichtig. Im Landkreis sind es die Erstimmen, in Oberbayern sind es die Stimmen für mich auf Listenplatz 2 der SPD.

1966 fuhr die SPD in Bayern noch 35,8% ein, seitdem geht’s bergab. 2018 der Absturz auf knapp 10% und gleichauf mit der AfD, die erstmals in den Landtag eingezogen ist. Was ist mit der SPD los?

Rauscher: Ja, wenn ich das wüsste. Ich verstehe nicht, warum eine so altgediente und demokratisch etablierte Partei wie die SPD derzeit bundesweit auf 16% und in Bayern auf etwa 9% kommt. Also im Ergebnis deutlich unter der AfD. Was ich aber schon bei Gesprächen mitbekomme: Die Leute sind unzufrieden mit der Performance der Regierungsparteien. Gleichzeitig verkennen sie aber, dass die Koalition aus drei Parteien, mit solch unterschiedlicher Programmatik, besteht. Da ist es nicht immer so einfach, einen Konsens zu finden. So ist Demokratie, man kann nicht so leicht durchregieren, wie wenn man als Regierungspartei allein wäre. Aber auch bei der CSU und den Freien Wählern in Bayern scheppert es regelmäßig. Und was man nicht vergessend darf: Die  Bundesregierung hat derzeit wirklich mit sehr großen Herausforderungen zu kämpfen, auch, weil in den 16 Jahren unter Frau Merkel vieles ausgesessen wurde.

Womit wir bei der CSU wären: Nach den gloriosen Zeiten unter Goppel und Stoiber, mit Spitzenergebnisse über 60%, musste auch die CSU Federn lassen. Sie kann 2023 froh sein, an den 37% von 2018 anknüpfen zu können. Für die Ergebnisse sorgen letztlich aber immer die Wähler. Was ist da los, lieben es die Wähler, wenn‘s scheppert?

Rauscher: Früher war die Parteienlandschaft kleiner und die politischen Verhältnisse klarer. Der Kuchen hat sich aufgeteilt zwischen Schwarz, Rot und Gelb. Dann kamen die Grünen und die Linken dazu. Die Stimmen teilen sich heute mehr Parteien untereinander auf. Und nun hat sich auch noch der extrem rechte Rand gebildet, der früher unter einem Strauß noch in der CSU war. Was ich in Gesprächen immer wieder feststelle: Die Leute wollen keine differenzierten Informationen mehr hören. Sie wollen die ganz einfachen Botschaften, aber die gibt es eben nicht – schon gleich gar nicht in diesen herausfordernden Zeiten.

Sehr einfache Erklärungen bietet die AfD. Was hat sich seit 2018 mit dem Einzug der AfD in den Landtag verändert?

Rauscher: Der Ton ist rauer geworden. In meiner ersten Legislaturperiode habe ich keine einzige Rüge der Präsidentin erlebt. Seit 2018 gab es 26 Rügen. Die AfD hat uns null komma null gebracht und die Abgeordneten der AfD arbeiten überhaupt nicht lösungsorientiert. Die Debatten sind immer ausländerfeindlich und immer ein Wettern gegen diejenigen, die uns alles wegnehmen. Was die AfD liefert, ist destruktiv. In der AfD will man keine moderne Gesellschaft, man ist hier rückwärtsgewandt und frauenfeindlich.

Und das alles wollen die Wählerinnen und Wähler?

Rauscher: Ich glaube, dass sich AfD-Wählerinnen und -Wähler zu wenig informieren und sich nicht mit den Forderungen und der geistigen Haltung der AfD auseinandersetzen. Man hat in der Bevölkerung einen gewissen Anteil mit rechter Gesinnung. Damit müssen und können wir leben. Aber dass die AfD in Wahlumfragen auf Bundesebene bei mehr als 21% und in Bayern bei mehr als 14% ist, das kann ich nicht nachvollziehen.

Werfen wir mal einen Blick in das Parteiprogramm der Bayern-SPD: Soziale Ausgewogenheit und eine klimaneutrale Zukunft, attraktive Standortbedingungen für Unternehmen, Ausbau der regionalen Wertschöpfung, gute Bezahlung für Arbeit, Verbesserung der Lebensbedingungen, bessere Förderung in Kindergärten und Schulen. Und, und, und. Klingt eigentlich alles gut, was man hier liest. Glauben die Menschen nicht, dass die SPD das hinbekommt? Oder ziehen diese Themen vielleicht gar nicht?

Rauscher: Diese Frage stelle ich mir auch. Wir haben in Bayern viel Vermögen und für viele Menschen gute Lebensbedingungen. Vielleicht ist die Mehrheit mit ihrer wirtschaftlichen Situation zufrieden und diejenigen, die im Alltag wirtschaftlich ums Überleben kämpfen müssen, befassen sich vielleicht nicht intensiv mit Politik. Vielleicht ist die SPD aber auch zu wenig plakativ. Nehmen wir mal den Bereich des sozialen Wohnungsbaus: Die CSU tut wenig dafür. Söder hat als Finanzminister staatliche Wohnungsbaugesellschaften an private Investoren verkauft. Es gibt im Wohnungspakt Bayern keine Forderungen für genossenschaftliches Wohnen. Die SPD setzt sich seit Hans-Jochen Vogel für bezahlbaren Wohnraum und gegen Grundstücksspekulation ein. Wir haben auch eine andere Vorstellung von guter Schulpolitik. Wir prangern an, dass die CSU die Energiewende komplett verschlafen hat. Jetzt ist man in der CSU sogar noch für das Weiterbetreiben der Kernkraftwerke. Es gäbe genug Gründe die SPD mit der Stimme zu unterstützen.

Nach neuesten Wahlumfragen konnte sich die SPD leicht verbessern. Sie liegt aber immer noch deutlich hinter den Grünen, den Freien Wählern, der AfD. Wie ist das Rezept der Bayern-SPD, um in den letzten Wochen doch noch aufzuschließen?

Rauscher: Als fünftstärkste Partei sind wir nicht mehr die Premium-Opposition und tauchen deswegen auch nicht mehr so stark in der Presse auf. Und man wird von der Presse auch nicht mehr so häufig angefragt, das merkt man. Aber wir haben mit Florian von Brunn einen guten Spitzenkandidaten, der soziale Themen immer wieder nach außen trägt. Ich hoffe aber, dass wir durch meine Direktkandidatur im Landkreis Ebersberg und durch meinen guten Listenplatz in Oberbayern im Landkreis Ebersberg das Mandat halten können.

Wenn Olaf Scholz heute Abend bei Dir anrufen würde und Dich fragte, was er in Berlin besser machen könnte, was würdest Du ihm raten?

Rauscher: (Lacht) Ich würde ihm raten, sich in Fragen der Kommunikationsstrategie besser beraten zu lassen. Die Bundesregierung macht Vieles sehr gut. Aber: Was bleibt bei den Leuten hängen: Die Koalitionäre sind zerstritten, können sich nicht einigen. Ich würde den Koalitionspartnern die Wadeln nach vorne richten und für mehr Disziplin sorgen. Scholz müsste sich auch öfter mit Ansprachen an die Menschen im Land wenden, damit man besser nachvollziehen kann, was in ihm vorgeht. An sich ist Olaf Scholz aber hoch kompetent, er ist sehr besonnen., das finde ich in der heutigen Zeit sehr wichtig, und er macht einen guten Job. Man muss außerdem anerkennen: Als die Koalition an die Regierung kam, hat es vorher 16 Jahre Stillstand gegeben, es war noch Corona und dann kam der Angriffskrieg auf die Ukraine. Krisenmanagement war gefragt und die Ampelregierung konnte ihre Vorhaben erst einmal gar nicht auf den Weg bringen. Dafür ist eigentlich viel passiert. Man muss nicht mit allem zufrieden sein, aber man muss das auch mal anerkennen.

Die drei wichtigsten Gründe: Warum sollten die Menschen am 8. Oktober die SPD wählen?

Rauscher: Weil wir ein Garant für soziale Gerechtigkeit, für gute Bildung und moderne Familienpolitik sind. Weil wir ein Garant für bezahlbares Wohnen und erneuerbare, bezahlbare Energie sind. Und weil wir als älteste deutsche Partei seit mehr als 150 Jahren immer ein Bollwerk für Demokratie und gegen Rechtsextremismus waren.

Das Interview führte Maria Weininger (13.09.2023)